Filmbesprechung „Brüssel – Caracas“ von Vanessa Stojilkovic
Die Belgierin Vanessa Stojilkovic geht in ihrem Film „Brüssel-Caracas“ in Form von Straßeninterviews in Belgiens und Venezuelas Hauptstädten der Frage nach, was Venezuelas aktueller Präsident Hugo Chávez aus seinem Land und Venezuelas Hauptressource, dem Öl, macht. „Wie wäre es, wenn die Einnahmen durch den Export des Öls nicht nur einigen Superreichen, sondern dem Volk zugute kommen?“, wird da gefragt.
Was erfährt man über Venezuela in den Medien? Die Befragungen in Brüssels Innenstadt stehen stellvertretend für die aktuelle Informationslage in Europa: Einige vermuten, Venezuela sei ein armes oder touristisches Land, doch die Mehrheit der Belgier weiß nichts zum Thema. Doch einige wenige reden auch von Revolution, Bürgerkrieg und Putschen oder geben an, gelesen zu haben, Präsident Hugo Chávez sei ein Diktator. So weit, so schlecht.
Die Kamera reist nun nach Venezuela, dessen Regierung beschlossen habe, dass die Einnahmen der PDVSA, der „Petróleos de Venezuela S. A.“, der nationalen Erdölgesellschaft, dem venezolanischen Volk in Form von sozialen Programmen zugute kommen sollen. Durch zahlreiche Reformen, so genannten „Misiónes“, hat Chávez innerhalb kürzester Zeit die Analphabetenrate von 10 auf 1% gesenkt, ein kostenloses staatliches Schulsystem sowie ein kostenloses Studium ermöglicht. Junge Frauen berichten von staatlichen Stipendien, ohne die ein Hochschulstudium für sie unmöglich geblieben wäre, ehemalige Straßenkinder erzählen von der Schule und ein alter Mann lobt die neue medizinische Verpflegung und Vorsorge. Seit Chávez hätten alle Venezolaner kostenlosen Zugang zu Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten; selbst die Ärmsten würden durch kubanische Ärzte versorgt. Einfache Arbeiter bildeten Kooperativen und gründeten Firmen, die allen gemeinsam gehören; einen Chef oder Besitzer bräuchten sie nicht. Durch neu gebaute Läden, Kliniken, Fabriken und Spielplätze herrsche eine hohe soziale Aktivität und auch die Venezolanerinnen erweiterten ihren Wirkungskreis vom Haus und den Kindern auf die eigene Arbeit und emanzipierten sich durch Kreditvergaben.
Zahlreiche positive Veränderungen und soziale Verbesserungen seien also eingetreten, seit Chávez die Geschicke des Landes leitet, in dem zuvor 70% der Bevölkerung arm waren. Die nationalen Reichtümer würden real auf alle Venezolaner verteilt und nicht nur, so wie früher, auf wenige Reiche, resultiert der Film.
Wo genau das Problem liegt, denn die Sichtweise hänge auch hier vom Blickpunkt und damit von der sozialen Klasse ab. Das zeigt die Filmemacherin, indem sie die Kamera umschwenkt auf ein betoniertes Einkaufszentrum im God-bless-America-Stil mit „Las Vegas“- und „Hollywood“-Aufschriften. Sprachen vorher dunkelhäutige Venezolaner auf Spanisch von Demokratie und Meinungsfreiheit, die in ihrem Land herrsche, polarisieren nun blasse Amerikaner auf Englisch: Sie berichten mit geplagter Miene von Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation, sie heulen über das Verbot der Opposition und über die herrschende Diktatur im Land. Im Hintergrund klingeln Handys und im Schaufenster präsentieren Bulimie-Schaufensterpuppen die neuesten Sünden von Gucci und Co. Ein gepflegter junger Mann erzählt gestresst, dass das Einkommen Vermögender „drastisch“ sinke. Diese Meinung spiegeln Sabotageaktionen und unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit durch höhere Angestellte und Management sowie auch ein sogenannter Steuerstreik des wohlhabenden Teils der Bevölkerung wider. Der„Putschist“ Chávez, ein „Diktator“, konzentriere außerdem alle Macht in seinen Händen, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, die Regierung sei gleichgeschaltet. „He is a dictator!“ und „Wir werden noch wie Kuba enden!“, hört man da.
Es wird eine Angst spürbar, die sich 2002 entladen hatte, indem Chávez abgesetzt und eingesperrt worden war, doch „scheiterte der Umsturzversuch an den breiten Bevölkerungsmassen, die für ihren Präsidenten auf die Straße gingen, und dem Militär, das dem Putschaufruf des Generalstabs nicht folgte. Die Putschisten blieben ungestraft oder gingen ins Exil“1, so Wikipedia.
Doch laut den befragten Venezolanern herrschte vor 1998, also vor Chávez, Verfolgung, Diktatur und Gleichschaltung; Demokratie habe immer nur für die regierende, gut verdienende Klasse gegolten. Das Öl sowie auch das Geld aus den Eröleinnahmen seien in die Vereinigten Staaten, in die Schweiz oder andere reiche Länder geschickt worden, in Venezuela selber habe man nie etwas davon gesehen. Jetzt, wo die souveräne Regierung einen neuen Sozialismus realisiere und eine wahre und partizipative Demokratie praktiziere, jetzt, wo Entscheidungen durch Volksabstimmungen direkt vom Volk kommen, wo jeder Bürgermeister genauso wie der Präsident per Volksentscheid abgesetzt werden könne, bezeichnet die amerikanische Außenministerin Rice Chávez als „negative Kraft in der Region“2, denn er wage es, die 500 Jahre alte Tradition, dass die Staaten Nordamerikas von den Bodenschätzen im Süden Amerikas profitieren, zu bekämpfen. Amerika fürchte den Schneeballeffekt, den Venezuelas Vorbild in Südamerika auslösen könnte und genau aus diesen Gründen sei Venezuela genauso wie der Iran in Gefahr, von Bush angegriffen zu werden.
Während die Venezolaner den Belgiern am Ende wünschen, dass auch ihr Präsident wie Chávez ist und zu intensiver, internationaler Solidarität mit ihrem Land aufrufen, um vereinigt gegen Amerika zu gewinnen und in Frieden und Freiheit weiterleben zu können, unterzeichnet ihr Oberhaupt Energieverträge mit Frankreich, Indien und China, tätigt Waffeneinkäufe, darunter Kalaschnikow-Gewehre und Militärhubschrauber in Russland, und verbrüdert sich mit dem Iran. Kevin Sullivan bringt Chávez` Position in seinem Artikel „Chávez stellt sich selbst als den Anti-Bush dar“ durch ein Zitat Gerver Torres`, eines ehemaligen venezolanischen Regierungsministers, auf den Punkt: „Er (Chávez) versucht alle Feinde der Vereinigten Staaten zu vereinen. Er glaubt, dass die Vereinigten Staaten der Teufel sind.“3. Ersterer teilt den Lesern außerdem mit, dass die südamerikanischen Staaten von einer zunehmenden anti-amerikanischen Stimmung beherrscht würden, die durch den venezolanischen Präsidenten repräsentiert würde. Sein Ziel sei es, die antiamerikanischen Tendenzen zu bündeln und gegen die imperialistische Macht der Vereinigten Staaten zu richten, was er mithilfe von Energieallianzen mit Kuba, anderen Ländern Lateinamerikas, Europa, dem Mittleren Osten und Asien erreichen will. Doch noch solange seien die USA Venezuelas wichtigster Kunde, denn sie nähmen dem Land 60% seiner Ölexporte ab. Und solange bliebe auch die venezolanische Bevölkerung in zwei Lager gespalten.
Es brodelt in den südamerikanischen Ländern. Und wo es das noch nicht tut, keimen Samen der Wut und Revolte, der Revolution und Zorn auf Amerikas Neoliberalismus – Che Guevara riebe sich fröhlich die Hände. Es soll sich laut dieses Films etwas so Positives und Schönes in Venezuela ereignen, dass es kaum zu glauben ist. Entgegen aller Medienberichte über politisch Verfolgte und Verletzungen der Menschenrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit, in Venezuela, spricht dieses Zeitzeugnis klar und deutlich von den wahren Vorgängen. Doch was ist Wahrheit und welcher Quelle kann der Leser vertrauen? Welche Zeitung ist von welcher Regierung beeinflusst und welcher Fernsehsender verkauft seine Pressefreiheit an welchen Multinationalen? Von wem beziehe ich meine Information? Müsste ich nach Venezuela reisen…?
Quellen:
- Film „Brüssel-Caracas“- ein Film von Vanessa Stojilkovic
- http://www.vcrisis.com/index.php?content=de/200503170444 am 10.7.2007
Wikipedia am 10.7.2007
Fußnoten:
1 http://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela#1998_bis_heute
2 http://www.vcrisis.com/index.php?content=de/200503170444
3 siehe 2
Montag, 12. November 2007
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