Die letzen Tage im alten Zuhause
Ich begreife es noch nicht so richtig, bin viel zu abgelenkt, indem ich mich selbst hetze, vorantreibe, ansporne, doch dies sind meine letzen wirklichen Tage zu Hause.
Natürlich werden auch noch später dieses Haus und dieser Garten, diese Nachbarn und das Glockengeläut, dieses Dorf und dieser Landstrich mir Heimat bedeuten und mein Zuhause sein, doch es wird sich verändert haben. Die letzten Tage, in denen ich hier meinen Wohnsitz habe, obwohl auch das schon länger nicht mehr so ist, weil ich den Großteil des vergangenen Jahres „auf der Straße“, „sur la route“, wie die Franzosen sagen, verbracht habe. Aber immer noch war der feste Bezugspunkt das oberschwäbische Blochingen, das so idyllisch am südlichen Rande der schwäbischen Alb im Donautal liegt.
Diese Tage verbringe ich wartend und angespannt; hecke ständig Pläne aus, laufe gestresst wie ein Tiger durch das Haus, renne die Treppe hinauf und stolpere sie wieder herunter. Wie ein wildes Tier im Käfig, das weiß, dass es bald heraus darf aus dem beengenden Gehege ins große Draußen. Oder ein Kind aus dem Sandkasten auf die richtige Baustelle.
Noch bin ich hier und packe meine Koffer. Ich nehme mit: Besteck, Matratzen, Teller, Teppiche, Bilder, Decken, Bücher, Klamotten. Was man zum Studieren halt so braucht. Doch zuvor – ich weiß es – wird es mich noch hinausziehen in das Land, das mir in meinem „Sabbatjahr“ so sehr ans Herz gewachsen ist, dessen Chansons ich mittlerweile laut mitsingen kann, dessen Sprache, Literatur und Kultur ich zukünftig studieren möchte.
Und wenn ich wiederkomme, muss ich allen meine neue Adresse schicken und sie einladen. Dann werde ich endlich mit dem Fahrrad zur Uni fahren und mit Büchern aus der Unibibliothek schwer beladen wieder zurückkeuchen. Dann beginnt ein Lernen und Kräftemessen, ein hoffentlich freundlicher und anregender Wettstreit, ein gegenseitiges Anspornen. Wie wird es sein, das erste Ausprobieren, Entdecken, Schmecken? Und werde ich vielleicht Lunte riechen und Geschmack daran finden? Wie wird das erst alles, wenn ich nicht nur im neuen Studienort wohne, sondern dort auch lebe, ihn mitgestalte und verändere? Was erwartet mich da?
Die letzten richtigen Tage scheinen zäh dahin zu fließen, doch sie ahnen noch nicht, wie schön sie sein könnten. Ganz langsam Abschied nehmen – fürs Erste –, sanft winken, bis bald. Ich bin noch da, aber ich löse mich, damit etwas Starkes, Kostbares aufblühen kann.
Was bringen diese Tage, diese Stunden? Wie werden sie sich füllen?
Mit gespannter Aufmerksamkeit auf das Neue und Alte, das Kommende und Gehende, mit Wachsamkeit und Hellhörigkeit. Mit Würde und Achtung. Mit einem Lächeln, das Freude auf den Lippen hat.
Montag, 12. November 2007
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