Dienstag, 25. März 2008

Rote Nasen gegen blaue Hemden

Grenzüberschreitende Demo für Bildung et solidarité in Straßburg


Zum zweiten Mal riefen die Straßburger Linken zu einer Demonstration auf, deren erster Akt am 15. Dezember 2007 stattgefunden hatte. Der Widerstand der Franzosen richtet sich gegen die Hochschulpolitik der Regierung, die den Universitäten mehr Autonomie zugestehen will. Diese Unabhängigkeit macht die Universitäten und Humanressourcen Frankreichs abhängig von der Finanzierung aus Wirtschaft und Industrie. Die Straßburger Demo am 16. Februar schließt an eine neue Stundentenbewegung in Frankreich an, die im vergangenen Jahr Tausende von Stundenten im ganzen Land auch aus Angst vor drohenden Studiengebühren auf die Straße brachte.
Um halb drei treffen wir uns auf dem Place de la Gare, dem Platz vor dem Bahnhof. Die französischen Clowns spielen nach einer kurzen Einführung durch die Teilnehmer des Workshops in Freiburg schon voller Energie und liefern sich lustige „Schlachten“ mit der blaubefrackten Polizei.
Bevor wir anfangen, setzt sich unser Gaggle, unsere kleine Gruppe, ins Gras und wir besprechen unsere Strategie. Dies ist für die meisten von uns die erste Clownsaktion, zudem in einem fremden Land mit einer für viele fremden Sprache. Uns gehen Berichte von den gewalttätigen französischen Polizisten durch den Kopf… Da müssen wir eng zusammenbleiben!
Als wir mit der Neuigkeit konfrontiert werden, dass die Demonstration illegal, also nicht angemeldet ist, wird uns schnell klar, warum die Bullen den Zugang zur Innenstadt blockieren. Während wir noch diskutierend eine Taktik suchen, spielen die Franzosen am anderen Ende des Place de la Gare schon „Ochs am Berg“ mit den Polizisten.
Wir sieben Clowns, fünf Deutsche und zwei Franzosen, entscheiden uns dafür, eine Seitenstraße zu nehmen, die parallel zu der verläuft, die von den netten Herren und Damen in blau blockiert wird. Auf geht’s, Clowns, auf zum Spiel!
Zuerst marschieren wir ein Stück: Marsch-marsch-marschmallow, etc. Wir amüsieren uns vorzüglich und hüpfen herum wie die Wilden. Komm lass uns rennen, springen, lachen! Wir bewundern Autos und finden schnell auch lebendige Opfer: Ami setzt sich zu einem Paar vor einem kleinen Café und fordert die beiden auf, mit ihren Sektgläsern anzustoßen und sich zu küssen. Unter dem Blicken von sieben Augenpaaren sind sie ein bisschen geniert, aber sie amüsieren sich trotzdem mit uns.
Wir gehen weiter und ernten einen ganzen Haufen positive Reaktionen. Mutig und glücklich nähern wir uns einer Brücke, die von einer Bande Bullen bewacht wird. Sofort verstecken wir uns hinter einer Mauer, um die Sonderlinge in ihren Uniformen in Ruhe zu betrachten. Nach kurzem Überlegen gehen wir einfach los, mitten rein in die Bullentraube. Im ersten Moment habe ich das erhebende Gefühl, dass sie uns einfach passieren lassen, doch hinter mir und Ami schließen sie ihre Kette und hindern uns am Weiterkommen. Die plötzliche Gewalt und Brutalität überraschen uns und ich falle fast aus meinem inneren Clown heraus. Die Polizisten verlangen unsere Ausweise und durchsuchen uns. Einer von ihnen zückt sogar ein Messer, um dem Riemen von Amis Rucksack durchzuschneiden, weil der vorgibt, nicht zu verstehen, dass er seine Tasche ablegen soll. Um das zu verhindern, antworte ich auf französisch, was den ’flics’ sehr gut gefällt: „Na also, die versteht doch sehr wohl französisch!“ Ich habe unglaubliche Lust, auch ihre Ausweise zu kontrollieren und beginne, zu verstehen, weshalb deutsche Polizisten Demonstranten gelegentlich vor ihren französischen Kollegen warnen.
Durch Alpas und Amis Mut und Durchhaltevermögen finde auch ich wieder zu meinem inneren Clown und spiele weiter. Wir durchsuchen und bewachen uns gegenseitig auf der Brücke, um die übertriebene Penetranz der Polizei zu ironisieren. Wir hören nicht auf, Dummheiten zu machen, was die Herren natürlich sehr verärgert. Der Gewalttätigste, wohl deren Chef, bellt uns ständig irgendwelchen Blödsinn zu, so wie: „Ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben! Euch wird das Lachen noch vergehen!“ oder „Ihr werdet gleich aufhören mit den Faxen!“ Trotz seinen Drohungen und Flüchen helfe ich Alpa, einen der Polizisten anzumachen. Einer unter ihnen scheint ein bisschen jünger und weniger hart zu sein als die anderen. Ich nähere mich ihm und bewundere die ganzen Knöpfe und Taschen auf seiner Weste, versuche, sie zu berühren und mich dabei immer näher an ihn ranzumachen. Aber am witzigsten ist es natürlich, ihm schüchterne, schrecklich verliebte Blicke zuzuwerfen, da ihn das sichtlich irritiert und ihm das außerordentlich peinlich ist. Wie soll er bloß reagieren vor seinen Kollegen?
Endlich bekommen wir unsere Ausweise zurück und der Pulk zieht ab. Wir sind sichtlich enttäuscht und traurig, als sie wegfahren; wir weinen und schluchzen fürchterlich. Nahe an ihren Kleinbussen spielen wir die “Socke“, ein Spiel, bei dem man sich in einer dichten Reihe gemeinsam aufstellt und den Blick ununterbrochen auf ein Ziel heftet. Langsam bewegt sich dann der hinterste nach vorne bzw. die vorderste nach hinten usw.
Nun haben wir es eilig: Bald beginnt die eigentliche Demonstration, zu der wir uns an der Kathedrale zusammenfinden. Ungefähr sechzig Grüne, Rote und Bunte warten da schon auf uns und wir ziehen auch sofort los. Ein junge Frau verkündet durch ein Megafon die Ziele der Demo: Das Recht jedes Menschen auf freie Bildung und die Solidarität der Menschen untereinander.
Wir kommen nicht weit: Schon auf dem Place de Kléber blockt die Polizei mit nur zwei Fahrzeugen unseren friedlichen Marsch und pickt sich sechs Demonstranten heraus, die abgeführt werden, darunter die beiden Transpiträger, eine Minderjährige und ein Tourist, der sich spontan der Demo angeschlossen hatte. Wir sind enttäuscht über das verfrühte Ende der Aktion und verstehen die übertriebene Reaktion der Polizei nicht. Noch eine Weile stehen alle gemeinsam auf dem Platz, spielen Samba und trampeln wilde Rhythmen auf den Bretterboden, doch wir Clowns schminken uns ab und einige fahren unentschlossen und verwirrt nach Hause. Der andere Teil schließt sich dem Rest der Truppe an und folgt ihm in die „Zentrale“, wo schon Essen für die Volxküche zubereitet wird. Nach einer kurzen Réunion, auf der angeregt über den Verlauf der Demonstration und deren Schwachstellen diskutiert wird, beschließen wir, die Vokü nicht wie angekündigt auf dem nahe gelegenen öffentlichen Spielplatz abzuhalten, sondern in den Privaträumen. Leider können so weniger Menschen teilnehmen, da nicht alle Straßburger diese Räumlichkeiten kennen. Doch trotz des augenscheinlichen Misserfolgs spinnen wir an diesem Abend neue Ideen, tauschen uns über geistige und nationale Grenzen hinweg aus, essen und planen zusammen weitere Aktionen. Ernüchtert und doch bestärkt im Bewusstsein einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, etwas enttäuscht und trotzdem wissend, neue Gleichgesinnte gefunden zu haben, verlassen wir Straßburg.

Feminismus? Wer braucht den heute noch?

In der Frauenbewegung symbolisieren die Farbe Lila und die Hexe die weibliche Weisheit, den weiblichen Widerstand und das weibliche Martyrium. Der Mond, der in feministischen Kreisen nach dem Vorbild der romanischen Sprachen „die Mondin“ genannt wird (s. „la luna“ bzw. „la lune“), steht für die weibliche Fruchtbarkeit und die Verbindung der „Weiber“ zur Natur.
Doch wogegen soll sich weiblicher Widerstand heute richten? Hat sich dieser nicht zu einer hysterisch-dogmatischen Bewegung entwickelt, angeführt von emanzenartigen „Mannweibern“?
So oder ähnlich lautet heute das weitgestreute Klischee, denn die Emanzipation der Frau gilt als abgeschlossen. Wer heute den immer noch existierenden Chauvinismus kritisiert, gilt selbst unter Frauen schnell als „Emanze“, ein Wort, das schon in den frühen Jahren der Frauenbewegung von deren weitgestreuten Gegnern pejorativ verwendet wurde.
Doch dabei werden die Erfolge der feministischen Bewegung vergessen. Die rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann wurde 1957 beschlossen und trat ein Jahr später in Kraft. In dieser Frage unterlagen die Unionsparteien knapp. Damals wurde das Letztentscheidungsrecht des Ehemannes gestrichen, das vorsah, dass der Mann über das von der Frau mit in die Ehe gebrachte Vermögen und auch über deren Erwerbstätigkeit entscheiden konnte. Noch bis 1977 durfte eine Frau nur mit dem Einverständnis ihres Ehemannes erwerbstätig sein!
Das Recht auf Abtreibung („ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine“; „mein Bauch gehört mir“), den Zugang zu Berufsgruppen, die Frauen zuvor versperrt waren sowie die Annäherung an sprachliche Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beider Geschlechter – das alles sind wichtige Neuerungen, die der Frauenbewegung zu verdanken sind. Sie bilden die Grundvoraussetzungen dafür, dass sich Frauen heute frei bewegen und reisen können. Sexuelle Belästigung und Vergewaltigung, auch in der Ehe, werden angezeigt und bestraft; außerdem haben beide Geschlechter heute dieselben Zugangsmöglichkeiten zu Bildung. Die Präsenz der Frauen in den Medien, in Kultur und Gesellschaft repräsentiert die wahren Verhältnisse, es gibt prominente Politikerinnen und auch Unternehmerinnen. Mädchen und Frauen haben bessere Noten, schließen ihr Studium schneller ab, machen mehr Praktika, mehr Auslandserfahrungen und bessere Abschlüsse als Jungs und Männer. Gleichstellungsbeauftragte, Frauenquoten und immer mehr Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ermöglichen die politische, gesellschaftliche und ökonomische Gleichheit der Geschlechter.

Also alles kein Problem? Hat die Frauenbewegung ausgedient?
Meredith Haaf schreibt dazu in der März/April-Ausgabe der Zeitschrift Zeit Campus:

„Der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern liegt derzeit in Deutschland bei rund 20 Prozent. Damit gehört Deutschland gemeinsam mit Zypern, der Slowakei und Estland zu den vier europäischen Ländern, in denen Frauen am stärksten wirtschaftlich benachteiligt werden.
Dazu kommt: Ab dem 30. Lebensjahr geht fast die Hälfte aller Frauen in Teilzeitarbeit.“
(Meredith Haaf in „Junger Feminismus“ in Zeit Campus)

Warum arbeiten immer noch 43% aller Frauen in Teilzeit? Warum sitzt nur auf jedem vierten Chefsessel und gar nur auf jedem zehnten Professorensessel eine Frau? Wieso sind nur ein Drittel der Frauen mit Kindern unter drei Jahren erwerbstätig, bei den Männern dagegen 90 Prozent? Wieso herrscht immer noch das Vorurteil, dass das männliche Stereotyp besser zu einer Führungskraft passt als das weibliche, wenn die Frauenbewegung doch überflüssig geworden ist?
Unsere Sprache bezeugt außerdem, dass die Rollenverteilung auch heute noch in weiten Teilen starr und bar jeder kritischen Reflexion ist. Männer sind oft noch beherrscht von einem übertriebenen Selbstwertgefühl, das den männlichen Chauvinismus kennzeichnet. In Führungspositionen werden immer noch die Angehörigen des männlichen Geschlechts bevorzugt.
Sprachliche Ungerechtigkeiten beschreibt die Feministin und Linguistin Luise F. Pusch in ihren Büchern, u.a. in „Alle Menschen werden Schwestern“: Der Prototyp des Menschen, also der typische Vertreter der Kategorie Mensch, ist immer noch ein Mann und keine Frau. Eine Frau kann nach diesem Schluss die Gattung „Mensch“ als solche nicht vertreten. Man denke nur an Worte wie Strichmännchen, Marsmännchen, etc. Diese Prototypizität des Mannes ist zurückführbar auf dessen Omnipräsenz in Bereichen wie Politik und Wirtschaft. Langsam und unaufhaltsam erobern sich dank der Frauenbewegung auch Frauen die ihnen zustehenden Stellen, doch mit den Kindern kommt meist der Karriereknick.
Eine weitere frauendiskriminierende Eigenschaft der Sprache besteht in deren geschlechtsabstrahierenden Funktion (auch generische Funktion genannt). In allen romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch, Portugiesisch), im Russischen, Polnischen, Tschechischen, Serbokroatischen, Deutschen, Griechischen, Niederländischen und – mit Einschränkungen – in den skandinavischen Sprachen Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, so lernen wir, werden aus 99 Schauspielerinnen und einem Schauspieler 100 Schauspieler. „Maskulina können sich generell nicht nur auf männliche Referenten beziehen, sondern auch auf gemischtgeschlechtliche Gruppen.“ (Alle Menschen werden Schwestern, Luise F. Pusch, S. 88) Die feminine Form wird in die maskuline inkorporiert, sie wird „geschluckt“ und verschwindet.
All diese unbefriedigenden Zustände deuten darauf hin, dass der Feminismus noch lange nicht ausgedient hat und neu belebt werden muss.
Aktuelle soziale Missstände, auf die der junge Feminismus aufmerksam machen muss, sind die Pornographie, die Prävention sexueller Gewalt sowie Sexismus aller Spielarten. Auch Männer können am neuen Feminismus direkt mitwirken, indem sie sich sexistischen Vorstellungen und Äußerungen im eigenen Umfeld entgegenstellen und diese damit unwirksam machen. Außerdem bedarf es mehr Solidarität zwischen den Frauen selbst und auch zwischen den Geschlechtern.
Erst wenn die Frauenbewegung bis in die Köpfe der Menschen vorgedrungen ist, werden Frauenquoten überflüssig, verschwinden Gehaltsunterschiede und Diskriminierung. Dazu ist es nötig, die Geschlechterrollen laufend zu hinterfragen und sich nicht in eine Schublade, in eine Rolle, drängen zu lassen. Auch die Sprache spielt eine nicht zu verachtende Rolle in der Gleichstellung der Geschlechter. Denken wird Sprache, und Sprache hat Handlungscharakter, denn "jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es steht unter Handlungen und ist selbst eine Handlung" (Bühler, Karl (1982) Sprachtheorie, S. 52).
Erst in einer freien und gleichberechtigten Welt determinieren allein die Veranlagungen und Interessen eines Menschen dessen Position, und nicht mehr das Geschlecht.

Mittwoch, 9. Januar 2008

Hitchhiking is my inspiration


“Busted flat in Baton Rouge, waiting for a train
And I am feeling near as faded as my jeans.
Bobby thumbed a diesel down just before it rained,
It rode us all the way to New Orleans.

I pulled my harpoon out of my dirty red bandanna,
I was playing soft while Bobby sang the blues.
Windshield wipers slapping time, I was holding Bobby’s hand in mine,
We sang every song that driver knew.

Freedom is just another word for nothing left to lose,
Nothing don’t mean nothing honey if it ain’t free, now now.
And feeling good was easy, Lord, when he sang the blues,
You know feeling good was good enough for me,
Good enough for me and my Bobby McGee.”


aus „Bobby McGee“ von Janis Joplin


Trampen kann Fortbewegungsmittel, Freizeitvergnügen, Sport und Lebensphilosophie in einem sein. Das englische „(to) tramp“ bedeutet so viel wie „sta(m)pfen, trampeln, auch wandern“. Mit einem Tramp bezeichnete man ursprünglich einen Wanderarbeiter oder Tagelöhner, also einen Vagabunden, einen Gelegenheitsarbeiter. In den 60er Jahren, in der Epoche der APO (=Antiparlamentarische Opposition) in Deutschland und der weltweiten Studentenrevolte, war das Trampen weit verbreitet und ‚hip’. Vor allem in der DDR war das Trampen die gewöhnliche Reiseform. Seit den 80er Jahren ist ein Rückgang des Stoppens zu verzeichnen, was dem wachsenden Bedürfnis nach Sicherheit entspricht. Doch oft wird mensch auch heute noch von Leuten, die in ihrer Jugend getrampt sind, mitgenommen. Die Berichte reichen von sehr tramperfreundlich (z.B. in Irland, Bretagne in Frankreich, Australien, Neuseeland, viele Teile Südamerikas, Skandinavien, Kanada, Japan und viele andere Länder) über relativ unkompliziert (Deutschland, Frankreich, Italien) und eher schwierig (Schweiz) bis hin zu ewigen Wartezeiten (Spanien). Im Baskenland soll es aufgrund der Angst vor Terroristen sogar verboten sein, Tramper mitzunehmen. In vielen Teilen der Erde ist es üblich, dem Fahrer einen kleinen Fahrtkostenzuschuss zu zahlen, z.B. in Asien und Osteuropa.

Interessant sind aktuellste Entwicklungen, vor allem die Gründung der Deutschen Autostop Gesellschaft, Abgefahren e. V. im August 2007 auf einem Trampertreffen bei Freiburg. Mit Hilfe des Internets will dieser Verein das Trampen vom "Hippie-Mief" befreien und wieder populärer machen.


Allgemeine Tipps

Beim ersten Mal trampt ihr am besten mit einem erfahrenen Freund mit, denn das nimmt die Hemmungen davor, sich wartend an den Straßenrand zu stellen. Es macht natürlich auch mehr Spaß, zu zweit zu trampen und mensch fühlt sich sicherer. A propos Sicherheit: Auf der Landstraße fragt den Fahrer nicht, ob er nach A oder B fährt, sondern wohin er fährt. Seine Antwort gibt euch Zeit zu entscheiden, ob ihr mitfahren wollt oder nicht. Denn ein ganz wichtiger Punkt, wahrscheinlich der wichtigste beim Trampen, ist der, auf eure Intuition zu hören. Habt ihr ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend, dann steigt lieber erst gar nicht ein, selbst wenn jemand anbietet, euch von Wien bis nach Berlin zu fahren.

Zentrale Elemente beim Trampen sind Unterhaltung und Kommunikation. Eure wirksamste Waffe ist eure Stimme. Sobald ich in ein Auto einsteige, beginne ich, mich vorzustellen oder ein Gespräch anzuzetteln. Das ist wichtig, um einen sozialen Raum sowie Vertrauen zwischen euch und dem Fahrer zu schaffen. Im Idealfall entsteht auf der Fahrt ein freundschaftlicher Kontakt oder es wird ein interessantes, unterhaltsames Gespräch. Versucht, immerzu in Kontakt mit eurem Gegenüber zu bleiben, um Herr/Frau der Situation zu bleiben. Dies gilt vor allem für Alleinreisende und wenn ihr noch ängstlich oder unsicher seid. Inwiefern ein Pfefferspray im geschlossenen Auto zur Verteidigung nützlich ist, habe ich glücklicherweise noch nie ausprobieren müssen; trotzdem habe ich es immer dabei. Um sich mit einem Messer in der Tasche sicher fühlen zu können, muss mensch eine passende „Ausbildung“ haben – denkt also daran, dass ihr damit im Notfall die Situation nicht entschärft.

Achtet auf kleines Gepäck und ein einigermaßen gepflegtes Äußeres. Packt euch eine Regenjacke, Klamotten zum Wechseln und Proviant ein.

In welcher Situation ein Schild des Ortes, zu dem ihr gelangen wollt, praktisch ist, muss von Mal zu Mal entschieden werden. Nur manche Fahrer denken daran, dass es euch sehr freut, von Hannover mit nach Hamburg genommen zu werden, wenn ihr nach Kiel fahren wollt. Am besten habt ihr aber immer Papier und Stifte dabei, um gut leserliche Schilder fabrizieren zu können. Ich habe mein Pappstoppschild immer dabei.


Tipps für die Autobahn

Am besten klappt das Trampen auf einer Autobahnraststätte, weil ihr dort die Leute direkt ansprechen könnt, sprich sofort einen Kontakt aufbauen könnt. Ihr seid dann nicht mehr die anonymen Fremden, die wartend und passiv am Straßenrand stehen, sondern könnt, wenn ihr redegewandt und kommunikativ seid, den Fahrer in ein Gespräch verwickeln.

Seid ihr einmal auf einer Raststätte angelangt, habt ihr schon den anstrengendsten und mühsamsten Teil eurer Reise geschafft. Ihr könnt versuchen, mit dem Bus so nahe wie möglich an eine Autobahnauffahrt zu fahren und von dort aus weiter zu trampen. Am besten eignen sich, mensch kann es nicht oft genug wiederholen, Tankstellen oder Rasthöfe, auch deshalb, weil an Autobahnauffahrten und Autobahnzubringern nur verrückte LKW-Fahrer halten. Ich rate davon ab, auf der Autobahn spazieren zu gehen, außer ihr wollt unbedingt, dass im Radio über euch berichtet wird.

Sitzt ihr einmal in den weichen Sitzen, gibt es eigentlich nur ein ganz einfaches Gebot zu beachten: Bleibt unbedingt auf der Autobahn! Lasst euch weder auf dem Notstreifen vor einer Ausfahrt, noch auf der Ausfahrt absetzen! Irgendwann wird mensch auch dort mitgenommen, aber die meisten Vorbeifahrenden zeigen einem doch eher den Vogel. Besorgt euch eine Karte, auf der die Autobahnraststätten eingezeichnet sind (gibt es oft an den Tankstellen selbst) und beharrt auf den Komfort des „Raststättenjumpens“. Im Sommer gibt es kaum eine angenehmere Art des Reisens!

Macht doch mal ein Tramprennen! Teilt euch in Gruppen zu je zwei Leuten auf, fixiert ein Ziel (z.B. das Brandenburger Tor in Berlin) und startet vom gleichen Ort aus (Tankstellen oder Raststätten bieten sich an). Die Idee stammt von Alexej Worow, der 1978 seinen Petersburger Trampklub gründete. Dieser veranstaltet jeden Winter einen irren Winterwettbewerb im eisigen Russland. Einen Bericht darüber kann man unter http://images.zeit.de/text/2004/13/Tramperclub_neu nachlesen.

Eine neue, moderne Art des Trampens boomt seit kurzer Zeit fast überall: Die Suche nach Mitfahrern oder Fahrern im Internet unter www.mitfahrgelegenheit.de (auch www.mitfahrzentrale.de). Dort kann mensch auch vermerken, dass man plant, mit dem Baden-Württemberg-Ticket oder dem Schönen-Wochenende-Ticket zu reisen und Mitreisende sucht.

Passend zu dieser ökologischen und ökonomischen Fortbewegungsart gibt es seit geraumer Zeit ein anderes tolles Netzwerk im Internet: den hospitalityclub.org. Auf dieser Webseite findet mensch weltweit reiselustige und gastfreundliche Menschen, die einem oder mehreren Besuchern einen Schlafplatz und manchmal auch eine Stadtführung anbieten. Dies ist eine wunderschöne Art des Reisens, die einen nicht zu unterschätzenden Teil zur Völkerverständigung beiträgt und in alle Himmelsrichtungen verbreitet werden sollte. Was mensch dort einmal an Freundlichkeit und Gastfreundschaft erfährt, möchte man gerne wieder an andere Reisende weitergeben. Und manchmal wird aus einem Besuch in der Ferne eine tolle Freundschaft…

Links:

Die Seite der Deutschen Autostop Gesellschaft: http://abgefahren.hitchbase.com/

Seite zur Selbstorganisierung im Alltag: www.projektwerkstatt.de/alternative/haupt.html

Seite mit Tips und Geschichten: http://www.hospitalityclub.org/veit/trampen.htm

Ebenso: http://www.bildervermietung.de/trampen/nach.htm

http://coforum.de/index.php?TramperTips

http://de.wikipedia.org/wiki/Trampen

Auf www.hitchbase.com bekommt man Infos darüber, an welche Stelle man sich am besten stellt.

www.mitfahrgelegenheit.de (www.mitfahrzentrale.de)

www.hospitalityclub.org

Montag, 12. November 2007


Filmbesprechung „Brüssel – Caracas“ von Vanessa Stojilkovic

Filmbesprechung „Brüssel – Caracas“ von Vanessa Stojilkovic

Die Belgierin Vanessa Stojilkovic geht in ihrem Film „Brüssel-Caracas“ in Form von Straßeninterviews in Belgiens und Venezuelas Hauptstädten der Frage nach, was Venezuelas aktueller Präsident Hugo Chávez aus seinem Land und Venezuelas Hauptressource, dem Öl, macht. „Wie wäre es, wenn die Einnahmen durch den Export des Öls nicht nur einigen Superreichen, sondern dem Volk zugute kommen?“, wird da gefragt.

Was erfährt man über Venezuela in den Medien? Die Befragungen in Brüssels Innenstadt stehen stellvertretend für die aktuelle Informationslage in Europa: Einige vermuten, Venezuela sei ein armes oder touristisches Land, doch die Mehrheit der Belgier weiß nichts zum Thema. Doch einige wenige reden auch von Revolution, Bürgerkrieg und Putschen oder geben an, gelesen zu haben, Präsident Hugo Chávez sei ein Diktator. So weit, so schlecht.
Die Kamera reist nun nach Venezuela, dessen Regierung beschlossen habe, dass die Einnahmen der PDVSA, der „Petróleos de Venezuela S. A.“, der nationalen Erdölgesellschaft, dem venezolanischen Volk in Form von sozialen Programmen zugute kommen sollen. Durch zahlreiche Reformen, so genannten „Misiónes“, hat Chávez innerhalb kürzester Zeit die Analphabetenrate von 10 auf 1% gesenkt, ein kostenloses staatliches Schulsystem sowie ein kostenloses Studium ermöglicht. Junge Frauen berichten von staatlichen Stipendien, ohne die ein Hochschulstudium für sie unmöglich geblieben wäre, ehemalige Straßenkinder erzählen von der Schule und ein alter Mann lobt die neue medizinische Verpflegung und Vorsorge. Seit Chávez hätten alle Venezolaner kostenlosen Zugang zu Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten; selbst die Ärmsten würden durch kubanische Ärzte versorgt. Einfache Arbeiter bildeten Kooperativen und gründeten Firmen, die allen gemeinsam gehören; einen Chef oder Besitzer bräuchten sie nicht. Durch neu gebaute Läden, Kliniken, Fabriken und Spielplätze herrsche eine hohe soziale Aktivität und auch die Venezolanerinnen erweiterten ihren Wirkungskreis vom Haus und den Kindern auf die eigene Arbeit und emanzipierten sich durch Kreditvergaben.
Zahlreiche positive Veränderungen und soziale Verbesserungen seien also eingetreten, seit Chávez die Geschicke des Landes leitet, in dem zuvor 70% der Bevölkerung arm waren. Die nationalen Reichtümer würden real auf alle Venezolaner verteilt und nicht nur, so wie früher, auf wenige Reiche, resultiert der Film.
Wo genau das Problem liegt, denn die Sichtweise hänge auch hier vom Blickpunkt und damit von der sozialen Klasse ab. Das zeigt die Filmemacherin, indem sie die Kamera umschwenkt auf ein betoniertes Einkaufszentrum im God-bless-America-Stil mit „Las Vegas“- und „Hollywood“-Aufschriften. Sprachen vorher dunkelhäutige Venezolaner auf Spanisch von Demokratie und Meinungsfreiheit, die in ihrem Land herrsche, polarisieren nun blasse Amerikaner auf Englisch: Sie berichten mit geplagter Miene von Armut, Arbeitslosigkeit und Inflation, sie heulen über das Verbot der Opposition und über die herrschende Diktatur im Land. Im Hintergrund klingeln Handys und im Schaufenster präsentieren Bulimie-Schaufensterpuppen die neuesten Sünden von Gucci und Co. Ein gepflegter junger Mann erzählt gestresst, dass das Einkommen Vermögender „drastisch“ sinke. Diese Meinung spiegeln Sabotageaktionen und unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit durch höhere Angestellte und Management sowie auch ein sogenannter Steuerstreik des wohlhabenden Teils der Bevölkerung wider. Der„Putschist“ Chávez, ein „Diktator“, konzentriere außerdem alle Macht in seinen Händen, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, die Regierung sei gleichgeschaltet. „He is a dictator!“ und „Wir werden noch wie Kuba enden!“, hört man da.
Es wird eine Angst spürbar, die sich 2002 entladen hatte, indem Chávez abgesetzt und eingesperrt worden war, doch „scheiterte der Umsturzversuch an den breiten Bevölkerungsmassen, die für ihren Präsidenten auf die Straße gingen, und dem Militär, das dem Putschaufruf des Generalstabs nicht folgte. Die Putschisten blieben ungestraft oder gingen ins Exil“1, so Wikipedia.
Doch laut den befragten Venezolanern herrschte vor 1998, also vor Chávez, Verfolgung, Diktatur und Gleichschaltung; Demokratie habe immer nur für die regierende, gut verdienende Klasse gegolten. Das Öl sowie auch das Geld aus den Eröleinnahmen seien in die Vereinigten Staaten, in die Schweiz oder andere reiche Länder geschickt worden, in Venezuela selber habe man nie etwas davon gesehen. Jetzt, wo die souveräne Regierung einen neuen Sozialismus realisiere und eine wahre und partizipative Demokratie praktiziere, jetzt, wo Entscheidungen durch Volksabstimmungen direkt vom Volk kommen, wo jeder Bürgermeister genauso wie der Präsident per Volksentscheid abgesetzt werden könne, bezeichnet die amerikanische Außenministerin Rice Chávez als „negative Kraft in der Region“2, denn er wage es, die 500 Jahre alte Tradition, dass die Staaten Nordamerikas von den Bodenschätzen im Süden Amerikas profitieren, zu bekämpfen. Amerika fürchte den Schneeballeffekt, den Venezuelas Vorbild in Südamerika auslösen könnte und genau aus diesen Gründen sei Venezuela genauso wie der Iran in Gefahr, von Bush angegriffen zu werden.
Während die Venezolaner den Belgiern am Ende wünschen, dass auch ihr Präsident wie Chávez ist und zu intensiver, internationaler Solidarität mit ihrem Land aufrufen, um vereinigt gegen Amerika zu gewinnen und in Frieden und Freiheit weiterleben zu können, unterzeichnet ihr Oberhaupt Energieverträge mit Frankreich, Indien und China, tätigt Waffeneinkäufe, darunter Kalaschnikow-Gewehre und Militärhubschrauber in Russland, und verbrüdert sich mit dem Iran. Kevin Sullivan bringt Chávez` Position in seinem Artikel „Chávez stellt sich selbst als den Anti-Bush dar“ durch ein Zitat Gerver Torres`, eines ehemaligen venezolanischen Regierungsministers, auf den Punkt: „Er (Chávez) versucht alle Feinde der Vereinigten Staaten zu vereinen. Er glaubt, dass die Vereinigten Staaten der Teufel sind.“3. Ersterer teilt den Lesern außerdem mit, dass die südamerikanischen Staaten von einer zunehmenden anti-amerikanischen Stimmung beherrscht würden, die durch den venezolanischen Präsidenten repräsentiert würde. Sein Ziel sei es, die antiamerikanischen Tendenzen zu bündeln und gegen die imperialistische Macht der Vereinigten Staaten zu richten, was er mithilfe von Energieallianzen mit Kuba, anderen Ländern Lateinamerikas, Europa, dem Mittleren Osten und Asien erreichen will. Doch noch solange seien die USA Venezuelas wichtigster Kunde, denn sie nähmen dem Land 60% seiner Ölexporte ab. Und solange bliebe auch die venezolanische Bevölkerung in zwei Lager gespalten.
Es brodelt in den südamerikanischen Ländern. Und wo es das noch nicht tut, keimen Samen der Wut und Revolte, der Revolution und Zorn auf Amerikas Neoliberalismus – Che Guevara riebe sich fröhlich die Hände. Es soll sich laut dieses Films etwas so Positives und Schönes in Venezuela ereignen, dass es kaum zu glauben ist. Entgegen aller Medienberichte über politisch Verfolgte und Verletzungen der Menschenrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit, in Venezuela, spricht dieses Zeitzeugnis klar und deutlich von den wahren Vorgängen. Doch was ist Wahrheit und welcher Quelle kann der Leser vertrauen? Welche Zeitung ist von welcher Regierung beeinflusst und welcher Fernsehsender verkauft seine Pressefreiheit an welchen Multinationalen? Von wem beziehe ich meine Information? Müsste ich nach Venezuela reisen…?



Quellen:
- Film „Brüssel-Caracas“- ein Film von Vanessa Stojilkovic
- http://www.vcrisis.com/index.php?content=de/200503170444 am 10.7.2007
Wikipedia am 10.7.2007


Fußnoten:
1 http://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela#1998_bis_heute
2 http://www.vcrisis.com/index.php?content=de/200503170444
3 siehe 2

August: Was ich alles gelernt habe im vergangenen Jahr

Ich habe gelernt, dass Freundschaften vergehen, weil Menschen sich ändern, dass nicht alle Menschen „nett“ sind und fast niemand ohne Eigennutz etwas tut. Dass Melisse Lachen macht und Johanniskraut die Nerven stärkt. Ich weiß jetzt, wie man Beton macht und dass man keinen Raubbau am eigenen Körper begehen darf; wie der Mensch, obwohl er eines ist, immer verstecken will, dass er ein Tier ist; wie schnell ein Jahr vorbeigeht und dass man im einen Moment himmelhoch jauchzend und im anderen zu Tode betrübt sein kann.
Ich habe erfahren, dass das Leben schneller vorbei sein kann, als man es sich vorstellt und dass, wer mit seinem Leben spielt, den Preis dafür zahlen wird. Ich habe gelernt, mich auf Französisch zu unterhalten, selbst am Telefon, und auch meine Kommunikationsfähigkeiten auf Deutsch verbessert. Ich nehme reger am täglichen Leben und meinem Umfeld teil.
Ich habe gelernt, Regen und Gewitter toll zu finden. Ich kenne nun das Gefühl des Regens auf nackter Haut. Ich habe den Sport meiner Kindheit und Jugend auf ganz einzigartige Weise für mich wiederentdeckt und erkannt, dass das Paddeln perfekt zu der Mischung aus Naturbegeisterung und sportlichem Ehrgeiz, die in mir steckt, passt. Ich habe Auto zu fahren gelernt und das blöde Gefühl erfahren, (mehrmals hintereinander) geblitzt zu werden.
Ich habe nicht das Rezept endgültiger Glückseligkeit gefunden, wohl aber erkannt, dass Glück und Freude, Traurigkeit und Depression zwei Wächter vor den Toren der Seele sind, die sich in wiederkehrenden Zyklen abwechseln. Das Leben ist ein Auf und Ab, ein Wellenschlag der Natur.


Ich weiß heute, dass mich das Reisen im oder mit dem Auto nicht glücklich macht. Um zufrieden zu sein, muss ich mich „by fair means“ fortbewegen, also zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Boot etc. Ich habe Herman Hesse bis zum Geht-nicht-mehr gelesen und seine Lebenseinstellung und seine Weisheiten mit dem Strohhalm eingesogen.
Ich war in Montpellier, Béziers, au Salvet, meiner ersten WWOOF-Farm, in Carcassone, im Département Aude, in Chalon-sur-Saone auf dem Nachhauseweg, Zuhause, in Rouen bei meinem Freund Antoine, von wo aus wir weiterzogen in die Bretagne, nämlich nach Concarneau an den Strand, wo wir im Zelt bei Minustemperaturen übernachteten; ich war in Brest, in den Mont-d´Arées, im Zauberwald von Huelgoat, in Guingamp, nochmals in Brest, im Zug auf dem Weg nach Hause, auf Jens` Beerdigung Zuhause, in Menez Kerveyen beim Zaunbau, in Nantes, Bordeaux, Bayonne, Biarritz, St. Jean de Luz, bei einer doofen deutschen Kommune im Départment Gers, noch mal in Carcassone, in der Nähe von Lodève bei der Arche de la Borie, wo es wunderbar war, in der Provence bei einer Longo-Mai-Gemeinschaft und beim Wandern in den Luberon-Bergen. Danach befand ich mich auf der Durchreise durch Cannes, Nice, Monaco, in Ventimiglia beim Gnocci-Essen, in Imperia mit einer Autopanne (4 Nächte!!), in Genua, bei Alessia in Mailand, die wir entführt haben gen Florenz, Siena, nach Petriolo und Saturnia zu den heißen Quellen, nach Neapel und danach nach Kalabrien, nach Reggio di Calabria und auf die Fähre nach Sizilien. Ich war auf Sizilien! Dort in Messina, zur Notte bianca in Catania, in der Totenstadt von Pantarica, in Portopalo, in Ragusa, in Agrigento, im Valle die templi, in Palermo, auf der Eolie-Insel Salina im Norden von Sizilien, in Rom, noch mal in Mailand, an einem Tag in fünf verschiedenen Ländern, nämlich in Italien, in der Schweiz, in Liechtenstein, in Österreich und in Deutschland. Ich bin Zuhause angekommen und habe mich ganz groß gefühlt in unserem Fachwerkhaus.
Ich habe gelernt, wie befreiend es sein kann, aus Versehen seinen Handyspeicher zu löschen. Ich habe die Freunde wie Unterhosen gewechselt und will die jetzige anbehalten.
Was wird nun geschehen? Ich bin gespannt...

Juni: Wiederbelebte Kindheitserinnerungen auf der Loire

Loirefahrt vom 13. bis 27. Juni

Am Ufer des Doubs, wo mein Begleiter Antoine und ich die warme Nacht verbringen, notiere ich folgende Vorreflexion:
Was erwarte ich mir von knapp 650 (es sollten nur 347 werden) Kilometern Loire?
Ich wünsche mir, dass die Ruhe und innere Harmonie des schweigenden Flusses auf mich abfärbt und mir auf diese Weise zu mehr Gelassen- und Ausgeglichenheit verhelfen wird.
Ebenso ist es mir ein Bedürfnis, endlich „by fair means“ zu reisen und die Spritschleuder am Flussufer zurückzulassen. Ich kenne das Kanufahren seit ich krabbeln kann, habe jedes Jahr vor allem mit Vater und Bruder längere Touren, Gepäckfahrten, erlebt, doch nun selbsr zu entscheiden, wann es wohin losgeht, dem eigenen Gefühl und Kopf zu folgen, beschert mir ein wunderbares Gefühl der Freiheit, das ich nie genug auskosten kann. Ganz einzutauchen in das wilde Leben draußen, jede Nacht unterm Tarp (Plane aus Zeltstoff) zu verbringen, bei Sturmwind, Gewitter und Hitze auf und am Fluss zu leben ich will.


Die Loire ist zum Glück noch wild genug, dass sich Freizeitsportler nicht in die Quere kommen; auf unserer zweiwöchigen Tour trafen wir nur wenige andere Paddler: Einmal in Nevers beim Kanuclub, wo Kinder ihre ersten, freudigen Paddelversuche machten; anderntags trafen wir aehnlich Natur- und Kanubegeisterte auf einer Sandbank, wo wir beim gemeinsamen Abendessen die Fahrtenerlebnisse austauschten.

Erste Feurprobe bestanden: Nachdem wir unser Auto bei der Capitainerie am Hafen, dem „Port de Plaisance“ in Roanne zurueckgelassen haben, starten wir bei schwueler Luft und sehr gutem Wasserstand in ein paar flotte Schwaelle. Bei Niedrigwasser waere das Vorhaben, ab Roanne sofort in die Loire zu starten durch Umtragungen noch in der Stadt muehsam, doch wir ziehen den richtigen Fluss dem Kanal diesmal vor. Der erste Versuch, das Tarp aufzubauen, geraet durch Gewitter zur Nervenprobe; die Heringe halten im feuchten Boden nicht.

Wolken brechen auseinander auf uns drauf
In uns hinein.
Wer kommt uns retten?

Der Traum

Draußen herrscht der Regenkönig mit unerbitterlichem Zorn
Die Vögel, patschenass, singen nicht mehr.
Die Flüsse sind randvoll, der Meeresspiegel steigt ,
wir müssen das Lager abbrechen, aufbrechen zu neuen Horizonten,
nicht zusammenbrechen. Pitschepatschenass im Regen,
bis das Dach endlich hält vergehen
bis ich endlich im weichen warmen Schlafsack
liege, Romantik und Geborgenheit die Knochen heraufgekrochen kommen.
Langsam, ganz langsam, schleichend, Schlaf.
Mit geschlossenen Augen in der Sonne stehen, aufgewärmt
Werden mit Licht, Energie, SOLARenergie –
Überm Wasser liegen kleine Funkelstrahlen –
Behäbig hineingleiten, sich rundum ruhig fühlen,
Aufgenommen in den Schoss, hineingeboren, von vielen Herzen erwartet,
Herzlich gelacht, ich komme.

Also wieder Regenschauer und Gewitter, schwarze Wolken drohen warnend; die rasch anschwellende Loire zwingt uns, dem vorbeitreibenden Zug an Schwemmholz, halben oder ganzen Bäumen, zu folgen und unseren Lagerplatz, der in Kürze am Absaufen ist, schleunigst zu verlassen.




Die nächsten Tage werden schön, doch immer schleicht sich nachts die link drohende Sorge um eine herannahende, neugierige Herde Charolais-Kuehe mit wild schnaubendem Stier-Anhang, die an beinahe jedem Ufer gemütlich und beinahe gelangweilt ihr Gras wiederkäuen. Und tatsächlich werden wir einmal von vielen weißen Köpfen geweckt; wir liegen direkt auf ihrem Weg zur Tränke Loire. Diesen Morgen bleiben die scheuen Tiere durstig, denn sie trauen sich kaum auf 20 Meter heran, doch wir sind dafür schon hektisch und verschlafen um kurz vor 8 auf dem Wasser und genießen die weiten Schleifen und großen, imposanten, steilufrigen Abbrüche der Loire, beobachten den Wechsel der sandigen Ufer und großen Kiesbänke, navigieren vorbei an Auwäldern und wilden Inseln, wo mir mein Herzklopfen die wilde, unberührte Natur und paradiesische, französische Loirestrände anzeigt, auf denen Kinderabenteuer auf Lagerfeuerromantik trifft. Herrlich! Ich fühle mich gut, frei und spuehre eine unbeschreibliche Harmonie mit mir selbst und meiner Umgebung.
Nachdem wir das Wehr in Decize umtragen haben und erneuter Regen uns an der Weiterfahrt hinderte, finden wir den tollsten Lagerplatz, den man sich vorstellen kann: Am linken Ufer kommt ein Baumhaus in Sicht und Traeume auf: Wir speisen unter einem Dach und wohnen zweistoeckig wie die Kinder und Raeuber im Baum.

Am nächsten Tag brennt uns endlich die längst erwartete Sonne aufs Haupt. Wir flüchten uns vor ihr in die wohlige Kühle der Kathedrale in Nevers. Später im Supermarché, der im Untergeschoss liegt, höre ich dumpfes Prasseln; patschnasse Mädchen keuchen an uns vorbei und streifen sich die Nässe aus den Haaren; die Kassen fallen aus, weil Regen ins Gebäude gedrungen ist. Nach dem Unwetter marschieren wir in Sorge zum Kanuklub, wo wir unseren William ohne weise Voraussicht unangebunden am Ufer liegen gelassen haben. Dort bietet sich ein Bild der Zerstörung. Jetzt ergibt das sarkastische: „Stellt euch gut unter!“ des Barbesitzers einen Sinn: Mehrere ausgewachsene Uferbäume liegen umgestürzt und vollkommen entwurzelt auf der Wiese, der größte direkt neben unserem Boot, das keinen Kratzer abbekommen hat.Unterm Tarp, mit dem wir das Gepäck abgedeckt haben, liegen noch die trockenen Pullover.

Neben uns rauscht die Polizei von Nevers an einem Rettungswagen vorbei. Leicht geschockt machen wir uns ans Umtragen der gewaltigen Steinbrücke von Nevers, was wunderbar klappt, indem wir den Fahrradweg mit unserem Bootswagen blockieren. An der Einsetzstelle erzähle ich Antoine, dass ich hier vor einigen Jahren schon einmal mit meiner Paddelfamilie unter sengender Sonne gekocht habe und dass wir danach in Kindermanier im Schlamm gespielt haben. Noch einen Paddelkilometer, dann schlagen wir unser Tarp links auf einer Insel auf und baden in der Abendsonne. Von wegen „kaum Zeltmöglichkeiten nach Nevers“!
Mittlerweile ist die Loire richtig breit geworden, vor allem durch den Zustrom des fast gleich großen Allier nach Nevers. Immerzu teilen nun Inseln den Fluss und man muss aufpassen, den richtigen Arm zu erwischen, weil man sich ansonsten leicht in eine Sackgasse begibt. Genau so habe ich es schon ein paarmal erlebt: Baden, Waschen und Spülen im Fluss, Sand in den Haaren und in den Töpfen; gelegentlich Landgänge, z.B. in la Charité-sur-Loire, einer „Stadt der Bücher“ mit etlichen Buchhandlungen, als Blitzrückkehr in die Zivilisation, wo wir geschickt die typische Regenzeit, nämlich den Spätnachmittag, unter dem Vordach eines Irish Pub verbringen. In der Nacht, bei heiserem Fuchsgebell und dem platschenden Bad eines größeren Tieres, vielleicht eines Bibers, träume ich meine eigene, wilde Seite herbei, sehe mit geschlossenen Augen, wie sie erwacht, auflebt und glitzert, wie es ihr gut geht und wie sie gedeiht…

Widrige Umstände

Am 23. Juni notiere ich: „So, mittlerweile wird es anstrengend, für den Körper ebenso wie für die Nerven. Antoine hat einen Hexenschuss und ich bin genauso fertig. Die wildromantischen Kinder- und Traumvorstellungen vom naturnahen, freien Leben weichen der Realität. Ich bin weder ernüchtert noch gewillt, aufzugeben, doch ich weiß, dass die gestern im gemieteten Wohnwagen verbrachte Nacht hier in Briare-le-Canal auf dem Campingplatz einfach nötig war.“
Denn am 21. Juni, dem Tag des Sommeranfanges, waren die Temperaturen von schwülwarm auf durchschnittliche Juniwerte gefallen. Trotzdem lege ich die Hesse-Biographie beiseite und lasse mich sanft ins milde Loirewasser gleiten. Hesse hatte es bei seinem täglichen Morgenbad im kalten Rhein etwas härter. Mit geschlossenen Augen lasse ich mich im seichten Wasser treiben, fühle mich vom halb warmem Wasser weich umgeben. Mein Morgenwaschgang gerät zur Wonne.
Nach Sancerre, das herrschaftlich-feudal auf einem Berg liegt, kaufen wir in Saint-Thibault ein und kosten Käse und Brot am Ufer der dort mündenden Vaucize.
Wir beabsichtigen, noch vor dem immer näher rückenden Kernkraftwerk zu nächtigen. Da treffen wir eine Gruppe von vier anderen Paddlern – die erste „richtige“ Paddlerbekanntschaft auf unserer Fahrt, und noch dazu sind es wahre Kenner der französischen Gewässerlandschaft! Wir teilen Wein und Abendessen mit den Kameraden, und als ich nach ihrer Vereinszugehörigkeit frage, behaupten sie: „Nous, on n´est que des sauvages!“ und gleich darauf beweisen sie ihre „Wildheit“, indem sie ein riesiges Lagerfeuer entzünden, an dem wir uns nach dem göttlichen Sonnenuntergang wärmen. Anderntags fahren wir gemeinsam bis zum besagten Briare, doch zuvor werden wir am AKW freundlicherweise geschleust und gleich darauf von Regen und Wind überfallen. Das ist der Grund, warum wir in dem schönen, verträumten Städtchen Briare-le-Canal nach der Unterquerung des Kanals, der als Brücke hoch über die Loire geführt wird, rechts an Land gehen und sehr bald dankbar einschlafen, ganz ungewohnt, „zivilisiert“ zwischen vier Wohnwagenwänden.
Anderntags geht es mit frisch gekaufter Regenkleidung aufs Wasser. Aber jetzt kommt Wind auf und wir haben beide gehörige Schwierigkeiten beim Steuern. Deshalb sitzen wir bald ungewollt in Chataeuneuf-sur-Loire fest und essen in einem leeren Festzelt am Ufer mürrisch Schokolade. Draußen brausen wilde Wolken vorbei und Surfer fegen über die spitz gezackten Wellen und an unserem „William“ vorbei, der ungeduldig wartend brachliegt. Gegen den Wind kommen selbst die Möwen nur mühsam an – wie wollen wir mit unserem „Lastkahn“ da vorwärts und nicht rückwärts fahren? Gien ein paar Kilometer flussaufwärts ist noch sonntagsverschlafen und ruhig dagelegen; von hier aus konnte man schon wieder vier riesige Kühltürme sehen, für mich nochmals eine heftige Störung der Idylle auf dem schönen Fluss. Auch dort, am AKW Dampierre-en-Burly, das stolz-arrogant ins Blaue hineinragt, habe ich mich seltsam unheimlich gefühlt; Gudrun Pausewangs „Die Wolke“ lässt grüßen. Als Kind sind mir diese hässlichen Bildstörungen kaum aufgefallen, da hatten sie noch keinerlei vitale oder gar politische Bedeutung.
In einer Linkskurve, in der die Kühltürme von Bäumen verdeckt werden, haben wir Chapati mit Gemüse gekocht und ich habe jeden Bissen mit geschlossenen Augen genossen. Später habe ich die Sandufer der Insel erkundet und am Abend im Alleingang das Schloss in Sully-sur-Loire besichtigt, eines der wenigen Schlösser, das von einem breiten Wassergraben umgeben ist.
In der Nacht aber hat sich ein kräftiger Wind erhoben und gefährlich an unserem Tarp gerüttelt…

Abbruch in Orléans

Auf einer Sandbank wenige Kilometer vor Orléans ist klar: Wir brechen die Tour morgen ab. Antoine ruft seine Mutter in Rouen an, die wir danach besuchen wollen. Traurig bin ich und müde; und schwer nehme ich Abschied von „meiner“ Loire:

Schwere Wolken ziehen übers Land – heiho!
Darunter sitzen müde schnaufend, ständig Töpfe spülend,
wild gegen den wütenden Westwind Ankämpfende.
Wo kommen sie her? – aus Roanne. Wo wollen sie hin? – nach Nantes.
Sollen wir uns da nicht besser in der Mitte treffen und
Orléans nach dem Weg fragen?

Weine eine Träne morgen zum Abschied,
guter, treuer Fluss.
Jetzt, wo die Sonne
auf mein Papier scheint, würde ich dich gerne
umarmen, doch du bist zu kalt,
an diesem Juniabend.

Unbarmherzig schaut dein altes, schmoddriges Gesicht,
kalt und kalt.
Bis zum Sturm liege ich an deinen streichelweichen Stränden
in der Sonne, blinzle vergnügt in dein Antlitz.
Bis zum nächsten Sonnenstrahl heule ich Verzweiflung
in die prasselnde Regennacht.

Aufgehen in dir, mich hineinwerfen und bleiben,
aufgenommen, mitfortgerissen, mitgeschwemmt
werden, bis nichts mehr übrig bleibt,
bis eins ist.
Immerfort fort von hier, weg von hier, weiter, nichts bleibt
liegen an Ort oder Stelle. Mitgenommen,
Sand, Stein; Ast, Stamm; Kadaver, Müll und Ball.

Seelenverbunden, ineinander verschlungen
in dein azurnes Wasser im Sommer,
deine Schlickschwemme,
deine braune Brühe bei Hochwasser,
deine kleinen, süßen Seitenarme spielen mit Ufern.
Spiele bis zum nächsten Mal, bald
sehen wir uns wieder.

12.12.2007