Dienstag, 25. März 2008

Feminismus? Wer braucht den heute noch?

In der Frauenbewegung symbolisieren die Farbe Lila und die Hexe die weibliche Weisheit, den weiblichen Widerstand und das weibliche Martyrium. Der Mond, der in feministischen Kreisen nach dem Vorbild der romanischen Sprachen „die Mondin“ genannt wird (s. „la luna“ bzw. „la lune“), steht für die weibliche Fruchtbarkeit und die Verbindung der „Weiber“ zur Natur.
Doch wogegen soll sich weiblicher Widerstand heute richten? Hat sich dieser nicht zu einer hysterisch-dogmatischen Bewegung entwickelt, angeführt von emanzenartigen „Mannweibern“?
So oder ähnlich lautet heute das weitgestreute Klischee, denn die Emanzipation der Frau gilt als abgeschlossen. Wer heute den immer noch existierenden Chauvinismus kritisiert, gilt selbst unter Frauen schnell als „Emanze“, ein Wort, das schon in den frühen Jahren der Frauenbewegung von deren weitgestreuten Gegnern pejorativ verwendet wurde.
Doch dabei werden die Erfolge der feministischen Bewegung vergessen. Die rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann wurde 1957 beschlossen und trat ein Jahr später in Kraft. In dieser Frage unterlagen die Unionsparteien knapp. Damals wurde das Letztentscheidungsrecht des Ehemannes gestrichen, das vorsah, dass der Mann über das von der Frau mit in die Ehe gebrachte Vermögen und auch über deren Erwerbstätigkeit entscheiden konnte. Noch bis 1977 durfte eine Frau nur mit dem Einverständnis ihres Ehemannes erwerbstätig sein!
Das Recht auf Abtreibung („ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine“; „mein Bauch gehört mir“), den Zugang zu Berufsgruppen, die Frauen zuvor versperrt waren sowie die Annäherung an sprachliche Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beider Geschlechter – das alles sind wichtige Neuerungen, die der Frauenbewegung zu verdanken sind. Sie bilden die Grundvoraussetzungen dafür, dass sich Frauen heute frei bewegen und reisen können. Sexuelle Belästigung und Vergewaltigung, auch in der Ehe, werden angezeigt und bestraft; außerdem haben beide Geschlechter heute dieselben Zugangsmöglichkeiten zu Bildung. Die Präsenz der Frauen in den Medien, in Kultur und Gesellschaft repräsentiert die wahren Verhältnisse, es gibt prominente Politikerinnen und auch Unternehmerinnen. Mädchen und Frauen haben bessere Noten, schließen ihr Studium schneller ab, machen mehr Praktika, mehr Auslandserfahrungen und bessere Abschlüsse als Jungs und Männer. Gleichstellungsbeauftragte, Frauenquoten und immer mehr Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ermöglichen die politische, gesellschaftliche und ökonomische Gleichheit der Geschlechter.

Also alles kein Problem? Hat die Frauenbewegung ausgedient?
Meredith Haaf schreibt dazu in der März/April-Ausgabe der Zeitschrift Zeit Campus:

„Der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern liegt derzeit in Deutschland bei rund 20 Prozent. Damit gehört Deutschland gemeinsam mit Zypern, der Slowakei und Estland zu den vier europäischen Ländern, in denen Frauen am stärksten wirtschaftlich benachteiligt werden.
Dazu kommt: Ab dem 30. Lebensjahr geht fast die Hälfte aller Frauen in Teilzeitarbeit.“
(Meredith Haaf in „Junger Feminismus“ in Zeit Campus)

Warum arbeiten immer noch 43% aller Frauen in Teilzeit? Warum sitzt nur auf jedem vierten Chefsessel und gar nur auf jedem zehnten Professorensessel eine Frau? Wieso sind nur ein Drittel der Frauen mit Kindern unter drei Jahren erwerbstätig, bei den Männern dagegen 90 Prozent? Wieso herrscht immer noch das Vorurteil, dass das männliche Stereotyp besser zu einer Führungskraft passt als das weibliche, wenn die Frauenbewegung doch überflüssig geworden ist?
Unsere Sprache bezeugt außerdem, dass die Rollenverteilung auch heute noch in weiten Teilen starr und bar jeder kritischen Reflexion ist. Männer sind oft noch beherrscht von einem übertriebenen Selbstwertgefühl, das den männlichen Chauvinismus kennzeichnet. In Führungspositionen werden immer noch die Angehörigen des männlichen Geschlechts bevorzugt.
Sprachliche Ungerechtigkeiten beschreibt die Feministin und Linguistin Luise F. Pusch in ihren Büchern, u.a. in „Alle Menschen werden Schwestern“: Der Prototyp des Menschen, also der typische Vertreter der Kategorie Mensch, ist immer noch ein Mann und keine Frau. Eine Frau kann nach diesem Schluss die Gattung „Mensch“ als solche nicht vertreten. Man denke nur an Worte wie Strichmännchen, Marsmännchen, etc. Diese Prototypizität des Mannes ist zurückführbar auf dessen Omnipräsenz in Bereichen wie Politik und Wirtschaft. Langsam und unaufhaltsam erobern sich dank der Frauenbewegung auch Frauen die ihnen zustehenden Stellen, doch mit den Kindern kommt meist der Karriereknick.
Eine weitere frauendiskriminierende Eigenschaft der Sprache besteht in deren geschlechtsabstrahierenden Funktion (auch generische Funktion genannt). In allen romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch, Portugiesisch), im Russischen, Polnischen, Tschechischen, Serbokroatischen, Deutschen, Griechischen, Niederländischen und – mit Einschränkungen – in den skandinavischen Sprachen Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, so lernen wir, werden aus 99 Schauspielerinnen und einem Schauspieler 100 Schauspieler. „Maskulina können sich generell nicht nur auf männliche Referenten beziehen, sondern auch auf gemischtgeschlechtliche Gruppen.“ (Alle Menschen werden Schwestern, Luise F. Pusch, S. 88) Die feminine Form wird in die maskuline inkorporiert, sie wird „geschluckt“ und verschwindet.
All diese unbefriedigenden Zustände deuten darauf hin, dass der Feminismus noch lange nicht ausgedient hat und neu belebt werden muss.
Aktuelle soziale Missstände, auf die der junge Feminismus aufmerksam machen muss, sind die Pornographie, die Prävention sexueller Gewalt sowie Sexismus aller Spielarten. Auch Männer können am neuen Feminismus direkt mitwirken, indem sie sich sexistischen Vorstellungen und Äußerungen im eigenen Umfeld entgegenstellen und diese damit unwirksam machen. Außerdem bedarf es mehr Solidarität zwischen den Frauen selbst und auch zwischen den Geschlechtern.
Erst wenn die Frauenbewegung bis in die Köpfe der Menschen vorgedrungen ist, werden Frauenquoten überflüssig, verschwinden Gehaltsunterschiede und Diskriminierung. Dazu ist es nötig, die Geschlechterrollen laufend zu hinterfragen und sich nicht in eine Schublade, in eine Rolle, drängen zu lassen. Auch die Sprache spielt eine nicht zu verachtende Rolle in der Gleichstellung der Geschlechter. Denken wird Sprache, und Sprache hat Handlungscharakter, denn "jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es steht unter Handlungen und ist selbst eine Handlung" (Bühler, Karl (1982) Sprachtheorie, S. 52).
Erst in einer freien und gleichberechtigten Welt determinieren allein die Veranlagungen und Interessen eines Menschen dessen Position, und nicht mehr das Geschlecht.

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