Rote Nasen gegen blaue Hemden –
Grenzüberschreitende Demo für Bildung et solidarité in Straßburg
Zum zweiten Mal riefen die Straßburger Linken zu einer Demonstration auf, deren erster Akt am 15. Dezember 2007 stattgefunden hatte. Der Widerstand der Franzosen richtet sich gegen die Hochschulpolitik der Regierung, die den Universitäten mehr Autonomie zugestehen will. Diese Unabhängigkeit macht die Universitäten und Humanressourcen Frankreichs abhängig von der Finanzierung aus Wirtschaft und Industrie. Die Straßburger Demo am 16. Februar schließt an eine neue Stundentenbewegung in Frankreich an, die im vergangenen Jahr Tausende von Stundenten im ganzen Land auch aus Angst vor drohenden Studiengebühren auf die Straße brachte.
Um halb drei treffen wir uns auf dem Place de la Gare, dem Platz vor dem Bahnhof. Die französischen Clowns spielen nach einer kurzen Einführung durch die Teilnehmer des Workshops in Freiburg schon voller Energie und liefern sich lustige „Schlachten“ mit der blaubefrackten Polizei.
Bevor wir anfangen, setzt sich unser Gaggle, unsere kleine Gruppe, ins Gras und wir besprechen unsere Strategie. Dies ist für die meisten von uns die erste Clownsaktion, zudem in einem fremden Land mit einer für viele fremden Sprache. Uns gehen Berichte von den gewalttätigen französischen Polizisten durch den Kopf… Da müssen wir eng zusammenbleiben!
Als wir mit der Neuigkeit konfrontiert werden, dass die Demonstration illegal, also nicht angemeldet ist, wird uns schnell klar, warum die Bullen den Zugang zur Innenstadt blockieren. Während wir noch diskutierend eine Taktik suchen, spielen die Franzosen am anderen Ende des Place de la Gare schon „Ochs am Berg“ mit den Polizisten.
Wir sieben Clowns, fünf Deutsche und zwei Franzosen, entscheiden uns dafür, eine Seitenstraße zu nehmen, die parallel zu der verläuft, die von den netten Herren und Damen in blau blockiert wird. Auf geht’s, Clowns, auf zum Spiel!
Zuerst marschieren wir ein Stück: Marsch-marsch-marschmallow, etc. Wir amüsieren uns vorzüglich und hüpfen herum wie die Wilden. Komm lass uns rennen, springen, lachen! Wir bewundern Autos und finden schnell auch lebendige Opfer: Ami setzt sich zu einem Paar vor einem kleinen Café und fordert die beiden auf, mit ihren Sektgläsern anzustoßen und sich zu küssen. Unter dem Blicken von sieben Augenpaaren sind sie ein bisschen geniert, aber sie amüsieren sich trotzdem mit uns.
Wir gehen weiter und ernten einen ganzen Haufen positive Reaktionen. Mutig und glücklich nähern wir uns einer Brücke, die von einer Bande Bullen bewacht wird. Sofort verstecken wir uns hinter einer Mauer, um die Sonderlinge in ihren Uniformen in Ruhe zu betrachten. Nach kurzem Überlegen gehen wir einfach los, mitten rein in die Bullentraube. Im ersten Moment habe ich das erhebende Gefühl, dass sie uns einfach passieren lassen, doch hinter mir und Ami schließen sie ihre Kette und hindern uns am Weiterkommen. Die plötzliche Gewalt und Brutalität überraschen uns und ich falle fast aus meinem inneren Clown heraus. Die Polizisten verlangen unsere Ausweise und durchsuchen uns. Einer von ihnen zückt sogar ein Messer, um dem Riemen von Amis Rucksack durchzuschneiden, weil der vorgibt, nicht zu verstehen, dass er seine Tasche ablegen soll. Um das zu verhindern, antworte ich auf französisch, was den ’flics’ sehr gut gefällt: „Na also, die versteht doch sehr wohl französisch!“ Ich habe unglaubliche Lust, auch ihre Ausweise zu kontrollieren und beginne, zu verstehen, weshalb deutsche Polizisten Demonstranten gelegentlich vor ihren französischen Kollegen warnen.
Durch Alpas und Amis Mut und Durchhaltevermögen finde auch ich wieder zu meinem inneren Clown und spiele weiter. Wir durchsuchen und bewachen uns gegenseitig auf der Brücke, um die übertriebene Penetranz der Polizei zu ironisieren. Wir hören nicht auf, Dummheiten zu machen, was die Herren natürlich sehr verärgert. Der Gewalttätigste, wohl deren Chef, bellt uns ständig irgendwelchen Blödsinn zu, so wie: „Ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben! Euch wird das Lachen noch vergehen!“ oder „Ihr werdet gleich aufhören mit den Faxen!“ Trotz seinen Drohungen und Flüchen helfe ich Alpa, einen der Polizisten anzumachen. Einer unter ihnen scheint ein bisschen jünger und weniger hart zu sein als die anderen. Ich nähere mich ihm und bewundere die ganzen Knöpfe und Taschen auf seiner Weste, versuche, sie zu berühren und mich dabei immer näher an ihn ranzumachen. Aber am witzigsten ist es natürlich, ihm schüchterne, schrecklich verliebte Blicke zuzuwerfen, da ihn das sichtlich irritiert und ihm das außerordentlich peinlich ist. Wie soll er bloß reagieren vor seinen Kollegen?
Endlich bekommen wir unsere Ausweise zurück und der Pulk zieht ab. Wir sind sichtlich enttäuscht und traurig, als sie wegfahren; wir weinen und schluchzen fürchterlich. Nahe an ihren Kleinbussen spielen wir die “Socke“, ein Spiel, bei dem man sich in einer dichten Reihe gemeinsam aufstellt und den Blick ununterbrochen auf ein Ziel heftet. Langsam bewegt sich dann der hinterste nach vorne bzw. die vorderste nach hinten usw.
Nun haben wir es eilig: Bald beginnt die eigentliche Demonstration, zu der wir uns an der Kathedrale zusammenfinden. Ungefähr sechzig Grüne, Rote und Bunte warten da schon auf uns und wir ziehen auch sofort los. Ein junge Frau verkündet durch ein Megafon die Ziele der Demo: Das Recht jedes Menschen auf freie Bildung und die Solidarität der Menschen untereinander.
Wir kommen nicht weit: Schon auf dem Place de Kléber blockt die Polizei mit nur zwei Fahrzeugen unseren friedlichen Marsch und pickt sich sechs Demonstranten heraus, die abgeführt werden, darunter die beiden Transpiträger, eine Minderjährige und ein Tourist, der sich spontan der Demo angeschlossen hatte. Wir sind enttäuscht über das verfrühte Ende der Aktion und verstehen die übertriebene Reaktion der Polizei nicht. Noch eine Weile stehen alle gemeinsam auf dem Platz, spielen Samba und trampeln wilde Rhythmen auf den Bretterboden, doch wir Clowns schminken uns ab und einige fahren unentschlossen und verwirrt nach Hause. Der andere Teil schließt sich dem Rest der Truppe an und folgt ihm in die „Zentrale“, wo schon Essen für die Volxküche zubereitet wird. Nach einer kurzen Réunion, auf der angeregt über den Verlauf der Demonstration und deren Schwachstellen diskutiert wird, beschließen wir, die Vokü nicht wie angekündigt auf dem nahe gelegenen öffentlichen Spielplatz abzuhalten, sondern in den Privaträumen. Leider können so weniger Menschen teilnehmen, da nicht alle Straßburger diese Räumlichkeiten kennen. Doch trotz des augenscheinlichen Misserfolgs spinnen wir an diesem Abend neue Ideen, tauschen uns über geistige und nationale Grenzen hinweg aus, essen und planen zusammen weitere Aktionen. Ernüchtert und doch bestärkt im Bewusstsein einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, etwas enttäuscht und trotzdem wissend, neue Gleichgesinnte gefunden zu haben, verlassen wir Straßburg.